Diese 6 Fakten über Selbstorganisation und Führung musst du wissen. Inside Steinbeis-SMI: heute Prof. Andreas Aulinger
Inside Steinbeis-SMI gibt Einblicke in die Fachthemen, mit denen sich unsere Dozenten befassen.
Erfahre in diesem Blogpost welche sechs Fakten du über Selbstorganisation und Führung in der VUCA Welt* wissen musst.
Dieser Blogbeitrag entstand im Gespräch mit Prof. Dr. Andreas Aulinger, Dozent an der Steinbeis-Hochschule Berlin für Organisation und Dekan der Fakultät. Er ist außerdem Direktor des mit Steinbeis kooperierenden Instituts IOM Institut für Organisation und Management Berlin.
*Eine VUCA-Welt ist geprägt von Volatilität (zunehmende Häufigkeit, Geschwindigkeit und Reichweite von Veränderungen), Unsicherheit (abnehmende Möglichkeit, Ereignisse und Entwicklungen vorauszusagen), Complexity / Komplexität (zunehmende Anzahl relevanter Variablen, deren Wirkungsweise aufeinander nicht berechenbar ist) und Ambiguität (zunehmende Viel- und Mehrdeutigkeit von Informationen).
Diese sechs Fakten über (Selbst-)Organisation und Führung in der VUCA-Welt musst Du wissen
Aktuelle Trends
wie Digitalisierung und Globalisierung verändern die Welt und zwingen
Unternehmen, sich anzupassen. Um in der sogenannten VUCA-Welt (Fußnote 1)
erfolgreich zu bestehen, müssen Unternehmen auch die interne Organisation
verändern. Warum? Weil klassische hierarchische Strukturen (neben einigen
Vorteilen bei stabilen Bedingungen) ein paar entscheidende Nachteile bei
Innovationen und Veränderungen haben: sie sind schwerfällig, zeitraubend, begünstigen
Silodenken und erschweren Eigeninitiative, Kreativität sowie die Übernahme von
Verantwortung.
Aus diesem
Grund erproben nahezu alle „Global Player“ agile Managementmethoden, zum
Beispiel Scrum oder Kanban, oft in eigenständigen „Business Units“,
Arbeitsgruppen oder Teams. Eines ihrer wesentlichen Grundprinzipien dabei ist
die Selbstorganisation. Doch ist Selbstorganisation nicht ein „alter Hut“?
Schon seit Jahrzehnten erwarten Manager von ihren Mitarbeitern, dass diese
mitdenken und eigenständig arbeiten. Es lohnt sich also, den Begriff
Selbstorganisation zu hinterfragen.
1 Welche Art
der Selbstorganisation in einer VUCA-Welt nicht ausreicht
In allen uns
bekannten Unternehmen haben Mitarbeiter Rechte und Pflichten zur individuellen
Selbstorganisation. Typisch dafür sind die weit verbreiteten Methoden des
Management by Objectives (MbO) und des Management by Exceptions (MbE). Beide
Methoden sehen vor, dass Mitarbeiter den Weg der Aufgabenerfüllung selbst
wählen, also selbstorganisiert handeln. Diese
uns allen bestens vertraute Art der Selbstorganisation reicht aber nicht aus,
um in der VUCA-Welt zu bestehen. Zur Klärung nennen wir die individuelle
Selbstorganisation „Selbstorganisation 1.0“. (Fußnote 2)
2 Kollektive
Selbstorganisation
Im Gegensatz
zur individuellen Selbstorganisation steht die kollektive Selbstorganisation.
Dabei werden verschiedene organisatorischen Befugnisse an eine Arbeitsgruppe
oder ein Team übertragen, in welchen die Mitglieder dann kollektiv entscheiden,
wer welche Aufgaben übernimmt, wie Entscheidungen getroffen werden und wie man
sich intern abstimmt. Das Team regelt also autonom, wie es die Prozesse seiner
Zusammenarbeit organisiert, bevor auf dieser Grundlage jedes einzelne
Teammitglied seine individuelle Selbstorganisation startet. Diese kollektive
Selbstorganisation 2.0 ist in der Realität (noch) weit weniger häufig
anzutreffen. Aus unserer Sicht befinden sich aber eine Vielzahl von Unternehmen
aktuell an dieser „Absprungstelle“.
Der Sprung von
Selbstorganisation 1.0 zu Selbstorganisation 2.0 steht für eine beträchtliche
Ausweitung von Befugnissen an das Team. Selbstorganisation 2.0 verändert zwar die Rolle von Führungskräften in
klassischen Hierarchien, aber wir beobachten, dass viele Unternehmen inzwischen
Wege ausprobieren, beide Managementformen parallel zu praktizieren. (Fußnote 3)
3 Selbstorganisation wo und mit wem?
Gegenüber der
Fremdorganisation („wenige organisieren vollständig die Arbeit für alle
anderen“) bietet kollektive Selbstorganisation nicht generell und in allen
Abteilungen Vorteile. In allen Unternehmen wird es weiterhin Bereiche geben, in
denen Arbeitsaufträge sinnvollerweise angewiesen und nach klaren Regeln und
Standards umgesetzt werden müssen. Vorteile entfaltet kollektive Selbstorganisation
aber in Bereichen, wo Kreativität, Gestaltung und situative Problemlösung
gefragt sind.
Nicht nur sind
die Aufgaben im Unternehmen unterschiedlicher Art, auch die Menschen in einem
Unternehmen sind es. Es gibt – grob vereinfacht – Umsetzer und Gestalter. Würde
man Umsetzer in ein sich selbst organisierendes Team setzen, wären diese
Mitarbeiter mit den zugehörigen Herausforderungen womöglich schnell
überfordert. Andersherum haben Gestalter bei einem Zuviel an Fremdorganisation
häufig Probleme, weil sie für ihre Arbeitserfüllung „Freiräume“ benötigen.
4
Selbstorganisation ist nicht Anarchie
Der Sprung von
Selbstorganisation 1.0 auf Selbstorganisation 2.0 bedeutet zwar einen Abbau von
klassischer Hierarchie, aber nicht deren Ende. Auch Selbstorganisation 2.0 ist
noch mit hierarchischen Strukturen und Fremdorganisation (von außen)
kombiniert. Zum Beispiel gibt es immer eine Führungskraft, die dem Team die
Befugnis zur Selbstorganisation überträgt – und im Falle ihres Scheiterns –
auch wieder entziehen kann. In der Weiterentwicklung Selbstorganisation 3.0
wird diese Fremdorganisation auf ein Minimum reduziert. Aber auch
Selbstorganisation 3.0 arbeitet nicht ohne Hierarchien. Der zentrale
Unterschied liegt darin, dass hier nicht mehr einzelne Menschen anderen
Menschen disziplinarisch vorgesetzt sind („Personenhierarchien“), sondern dass
in Selbstorganisation 3.0 einzelne Teams anderen Teams hierarchisch unter- und
übergeordnet werden („Teamhierarchien“ oder „Kreishierarchien“). Nicht nur
fachliche und organisatorische Entscheidungen, sondern beispielsweise
Personalentscheidungen werden kollektiv im Team getroffen. (Fußnote 4)
5 Selbstorganisation ist kein Selbstläufer
Kollektive
Selbstorganisation ist mit großen Herausforderungen sowie erheblichen Zwängen
verbunden und nicht selten wünschen sich Mitarbeiter in gewissen Phasen einen
„richtigen“ Chef zurück. Als Mitarbeiter verbringt man sehr viel Zeit mit
vielen Kollegen. Man muss sich ins Team einordnen und methodisch diszipliniert
arbeiten können. Kollektive Selbstorganisation verläuft normalerweise nicht
konfliktfrei. In jedem neu formierten Team finden bestimmte Muster von
Gruppendynamik statt, die das Gelingen der Teamarbeit gefährden können.
Teammitglieder müssen aus diesem Grund entweder selbst sehr erfahren in
gruppendynamischen Prozessen sein und sich quasi selbst „am eigenen Schopf“ aus
den Konfliktfallen ziehen können. Andernfalls sollte das Team von einem
erfahrenen „Teamentwickler“ begleitet werden.
Das
Anforderungsprofil an Führungskräfte von selbst organisierten Teams
unterscheidet sich erheblich vom Anforderungsprofil an Führungskräfte, die
selbst organisierte Mitarbeiter führen. Damit die neue Form der Zusammenarbeit
gelingen kann, muss ein relevanter Teil der Arbeit in die Befähigung der Teammitglieder
und in die Begleitung des Teams investiert werden. Es entsteht ein hoher Bedarf
an Coaching und Moderation. Dieser Steuerungsaufwand ist nicht geringer als in
einer Top-Down-Organisation, sondern anderer Art und er fällt an anderen
Stellen an.
Selbstorganisation
ist daher auch nicht effizienter als Fremdorganisation, aber sie erhöht in der
VUCA-Welt die Wahrscheinlichkeit, zu effektiveren Lösungen zu kommen. (Fußnote
5)
6 Wofür
Selbstorganisation gut ist
In einem sich
selbst organisierenden Team entfällt die Machtdistanz zwischen Vorgesetzten und
Mitarbeitern, die in hierarchischen Organisationen oft verhindert, dass
Meinungen klar und offen zum Ausdruck gebracht werden. Selbstorganisation
fördert den Mut zur eigenen Meinung.
Selbstorganisation
(und das gilt schon für Selbstorganisation 1.0) ist die Voraussetzung für viele
Menschen des Typs „Gestalter“, dauerhaft Motivation zu entwickeln. Je klarer
dabei ist, welche Aufgabe ein Team hat, desto größeren Nutzen zieht das
Unternehmen daraus. Selbstorganisation erfordert – und fördert – soziale
Kompetenzen und ist „nebenbei“ ein intensives Persönlichkeitstraining für alle
Teammitglieder.
In klassischen
Hierarchien treten oft Machtkämpfe zutage, denn Hierarchiestufen gilt es zu
erklimmen oder zu verteidigen. Machtkämpfe aber kosten Kraft, Zeit und sie
lenken von den „eigentlichen“ Aufgaben ab.
Selbstorganisation
erzeugt (neben der eigentlichen Arbeitsleistung) kontinuierlich
Sekundäreffekte, da sich das Team ständig mit seinen Arbeitsprozessen und den
Rahmenbedingungen befasst. Hierdurch entspannt sich im Unternehmen der Umgang
mit Veränderungen. Veränderungen werden weniger als Bedrohung wahrgenommen als
dies in klassischen Organisationsformen der Fall ist. Solange Veränderung als
Bedrohung verstanden wird, kann eine Organisation nicht agil arbeiten.
Lessons
learned:
Selbstorganisation
ab der Stufe 2.0 ist mit Anstrengung verbunden, weil Bekanntes verlernt und
Neues gelernt werden muss. Der Lohn ist aber nicht nur eine gesteigerte
Wahrscheinlichkeit, in der VUCA-Welt zu überleben. Der Lohn kann auch in einer
menschlich sehr reifen Form der Zusammenarbeit liegen, die der Ausbau der
kollektiven Selbstorganisation mit sich bringt.
(1) Eine VUCA-Welt ist geprägt von Volatilität
(zunehmende Häufigkeit, Geschwindigkeit und Reichweite von Veränderungen), Unsicherheit
(abnehmende Möglichkeit, Ereignisse und Entwicklungen vorauszusagen), Complexity
/ Komplexität (zunehmende Anzahl relevanter Variablen, deren Wirkungsweise
aufeinander nicht berechenbar ist) und Ambiguität (zunehmende Viel- und
Mehrdeutigkeit von Informationen).
(2) Vgl. Aulinger A. (2017):
Selbstorganisation – ein Organisationsprinzip für Agilität“, Whitepaper am IOM
Institut für Organisation und Management an der Steinbeis-Hochschule Berlin,
Berlin.
(3) Aulinger definiert in seinem Whitepaper
auch die Stufen der Selbstorganisation 3.0 und Selbstorganisation 4.0.
(4) Vgl. Aulinger A. (2017):
Selbstorganisation – ein Organisationsprinzip für Agilität“, Whitepaper am IOM
Institut für Organisation und Management an der Steinbeis-Hochschule Berlin,
Berlin.
(5) Vgl. Aulinger A. (2017):
Selbstorganisation – ein Organisationsprinzip für Agilität“, Whitepaper am IOM Institut für Organisation und Management an der Steinbeis-Hochschule Berlin,Berlin.
Kooperationsstudiengänge zwischen dem IOM und der Steinbeis-SMI:
Dieser Blogbeitrag gibt
exemplarisch wieder, welche Inhalte Prof. Dr. Andreas Aulinger an
der Steinbeis SMI vermittelt.
"Was haben die Organisationen von Unternehmen mit den Organen von Lebewesen gemeinsam?"
AntwortenLöschenDie Organe funktionieren - genau wie eine Organisation - nur im Zusammenspiel miteinander.