Vom TikTok-Hype, digitalen Butlern und der empathischen Zukunft der Arbeit


Steinbeis SMI Round-up 3:News from the World of Change

In der aktuellen Ausgabe unserer internationalen Sammlung rund um digitale Transformation, Innovation und Unternehmertum beschäftigen wir uns u. a. mit Adele-singenden Gummibärchen, „dummen Fragen“ in Bewerbungsgesprächen und digitalen Butlern. 

TikTok: Hype oder Hurra?

Teenie-Hype oder langfristig ernst zu nehmende Größe in der Social Media Welt und damit relevante Marketingplattform? Wir werfen einen Blick auf das TikTok-Phänomen – man will ja mitreden können ... 


Was ist das überhaupt?
Laut Experten und Marktbeobachtern kein vorübergehender Internetwitz. Im Gegenteil: Der Video-Clip App wird das Potenzial zugesprochen, die derzeitige Social-Media-Landschaft zu verändern. Nutzer können in der App 15-Sekunden-Videos drehen, diese mit Musik oder O-Tönen hinterlegen und teilen. Zentraler Bestandteil sind Hashtags und Sounds, denen User folgen und worüber sie an verschiedenen Challenges teilnehmen können.

Das Grundprinzip: Man wählt aus der TikTok-Musikliste eine Aufnahme, zu der man ein Video machen möchte, filmt sich (oder andere/s) dazu selbst, nutzt die verschiedenen in der App bereitgestellten Editiertools/Filter und postet dann seine Eigenkreation. Lip-Sync-Aufnahmen, eine Choreographie zu einem Song – oder warum nicht eine Armee von Gummibären zu Adeles „Someone like you“ singen lassen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. 



Wer macht sowas?
Hauptsächlich Teenager. 

Und davon viele. 
TikTok wird von den Jungs und Mädels dominiert, denen die Marketingwelt den Begriff Generation Z verpasst hat. Also die ab 1997 geborenen Nachfolger der Millennials. Erklärte Zielgruppe der TikTok-Macher sind die 16-24-Jährigen, aber wer sich durch die App scrollt, sieht vor allem auch viele jüngere Kids beim Albernsein. In Frankreich haben beispielsweise kapp 40 Prozent aller 11- bis 14-Jährigen einen TikTok-Account. In Deutschland sind mehr als vier Millionen Jugendliche auf der Plattform. 2018 war TikTok weltweit die am meisten heruntergeladene iOS-App. Im Februar wurden auf Google Play und im App Store eine Milliarde Downloads überschritten.

Noch ein paar Zahlen (die schon recht beeindruckend sind)
Bereits eine halbe Milliarde Menschen sind weltweit in der TikTok-Community aktiv. 75 Millionen kamen allein im Dezember 2018 dazu, eine Steigerung von 275% im Vergleich zum Vorjahr. Besonders viele Fans scheint es in Indien mit einem Anteil von 39% zu gehen. Im Durchschnitt verbringen Nutzer 52 Minuten pro Tag innerhalb der App. Im Vergleich: Auf Facebook sind es 40 Minuten.
 

Wer steckt dahinter?
Vorgänger von TikTok war musical.ly als erste erfolgreiche App für Lippensynchronisation, die 2014 von zwei chinesischen Unternehmern an den Markt gebracht wurde. 2016 launchte dann das chinesische Internettechnologie-Unternehmen ByteDance TikTok und kaufte 2017 musical.ly. Nach der Übernahme wurden die beiden Apps im August 2018 zusammengeführt, im September war ByteDance – schwupps – über 75 Milliarden Dollar wert, überholte damit Uber als das weltweit wertvollste Start-up und agiert seitdem in Konkurrenz zu den international erfolgreichsten Techunternehmen. Facebook brachte übrigens letzten November einen TikTok-Clone namens Lasso auf den Markt, der allerdings bisher kaum wahrgenommen wird.

Können die TikTok-Urheber mit ihren Kreationen Geld machen?

Laut dem amerikanischen Online-Wirtschaftsmagazin Quartz bringt der Hashtag #ad auf TikTok knapp unter zwei Milliarden Resultate. Sponsored Content scheint also ein Thema zu sein. Wie viel Unternehmen dafür zahlen, ist nicht bekannt. Man kann höchstens auf Basis von Zahlen, die für musical.ly vorliegen, Vermutungen anstellen: Die Plattform Influencer Marketing Hub spricht hier von bis zu 20.000 Dollar, die Werbekunden für eine Video-Anzeige ausgegeben haben sollen. Über die TikTok Live-Stream-Komponente Live.ly kann den kreativen Videoherstellern auch direkt etwas gezahlt werden.

Und ansonsten? Geschäftsmodell?
Medienunterunternehmen und Marken experimentieren und bauen Communities auf, ohne bisher genau zu wissen, wie sich das monetarisieren lassen wird. In Deutschland gehören dazu z. B. das öffentlich-rechtliche Jugendangebot funk, der WDR-Radiosender 1Live und einige Fußballvereine. In Kooperation mit TikTok startete das US-Modelabel Guess als erstes westliches Unternehmen eine gesponserte Challenge, in deren Rahmen Nutzer aufgerufen wurden, sich in Guess zu stylen. Der entsprechende Hashtag verzeichnete fast 38 Millionen Aufrufe. Und ansonsten ist ByteDance aktuell in Europa bei Medienagenturen unterwegs, um Werbekunden zu akquirieren.

Der TikTok-Motor
Am Laufen gehalten wird die Video-Community von Künstlicher Intelligenz. ByteDance selbst beschreibt die verschiedenen, von dem Unternehmen betriebenen Plattformen als „Möglichkeiten für Nutzer, Inhalte zu genießen, die von KI-Technologie angetrieben werden“. Es wird im Bereich maschinelle Sprachverarbeitung, Bilderkennung und Maschinelles Lernen geforscht. Während TikToks Inhalte komplett nutzergeneriert sind, ist die gesamte Struktur der Plattform also KI-gestützt. Der New York Times Journalist John Herrman beschreibt sie daher in einem Artikel auch als „mehr Maschine als Mensch“, worin ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu anderen sozialen Netzwerken liegt:
 

Dreh- und Angelpunkt ist nicht, wen Nutzer bereits kennen, wem sie folgen, was sie mögen, gesehen haben oder wonach sie gesucht haben. Der TikTok-Algorithmus baut vielmehr eine Art Inhaltsspeicher auf, der auf der Annahme basiert, dass ein Nutzer daran interessiert ist, nachdem er sich angemeldet hat. Dieser Content wird dann im Laufe der Zeit angepasst – nach Kriterien, die im Unklaren bleiben. Damit verzichtet TikTok auf das „Friends & Family“-Grundprinzip, auf dem andere soziale Netzwerk aufgebaut wurden und, so Herrman, „,mit Blick auf die Zukunft könnte TikToks eigentlicher Effekt daher sein, dass andere soziale Plattformen auch entscheiden, dass unsere Freunde uns doch sowieso nur zurückgehalten haben.“

Probleme?
Ja, die üblichen: Welche Daten gesammelt und wie diese genutzt werden, ist unklar. Was bei der sehr jungen Nutzergruppe natürlich besonders kritisch ist. In den USA ist ByteDance deswegen schon unter Druck geraten: Wegen Verstößen gegen Jugendschutzrechte verhängte die Regulierungsbehörde „Federal Trade Commission“ eine Strafe von 5,7 Millionen Dollar und bestimmte zudem, dass das chinesische Unternehmen nicht länger Daten von Jugendlichen unter 13 einsammeln dürfe. ByteDance hat daher in den USA eine Kinder-Version der App für Nutzer unter dieser Altersgrenze auf den Markt gebracht. TikTok muss sich zudem mit unschönen Internetphänomenen wie Mobbing auseinandersetzen und Kritiker sehen eine hohe Gefahr von Cybergrooming. Sicherlich auch ein Grund, warum TikTok angekündigt hat, 10.000 Content-Moderatoren für die verschiedenen Sprachversionen beschäftigen zu wollen.

Fazit 

So unverständlich es für jeden über 30 (oder 25?) sein mag, für eine ganze Generation von Jugendlichen ist TikTok bereits eine Obsession, die Facebook, Instagram und Snapchat weit überholt hat. Und wer zumindest versuchen möchte zu verstehen, worin die Faszination für die Nutzer liegt, dem hilft vielleicht diese Einordnung einer Autorin des US-Technikportals The Verge:

„Bei TikTok taumelt alles am Rande von amateurhaftem Professionalismus herum – und genau dieser Gegensatz macht die App so betörend. Hochwertige Videoschnittarbeit wird mit dem kindlichen Rumgepose und Lippensynchronisieren gepaart, nach dem die App und ihre Challenges verlangen. Das Ganze ist fröhlich und liebenswert. (…) Bei TikTok geht es nicht um Perfektion. Es geht darum, Teil einer Bewegung zu sein.“

Neugierig? Einblicke auf dem TikTok Instagram-Account.

HUMAN RESOURCES

Warum es in Bewerbungsgesprächen sehr wohl „dumme Fragen“ geben kann

Irgendwie, irgendwann hat sich bei vielen Personalern der Glaube festgesetzt, dass schräge Fragen zum guten Bewerbungsgespräch dazugehören. Ganz im Sinne von „Konfrontiere Menschen mit komplett Abseitigem und fordere Antworten ein, um zu sehen, wie sie mit Druck umgehen.“ Zwei amerikanische Autoren stellen dies in ihren aktuellen Publikationen in Frage: Weder die Diskussion unrealistischer, hypothetischer Situationen noch soziale Experimente hätten einen Platz in Bewerbungsgesprächen.

Bitte keine Fangfragen

Der Psychologie- und Marketingprofessor Art Markman (“Bring Your Brain To Work: Using Cognitive Science to Get a Job, Do It Well, and Advance Your Career”) argumentiert, dass bizarre Fragen, die nichts mit dem eigentlich Job zu tun haben, nicht dabei helfen, eine gute Einstellungsentscheidung zu treffen: „Im Tagesgeschäft sind Mitarbeiter in erster Linie gefordert, ihr Know-how zu nutzen. Daher möchte man doch herausfinden, was sie wissen/können und ob sie bereit sind, Neues zu lernen. Wenn ich frage, wie sie sich alleine auf einer einsamen Insel oder in einem verschlossenen Raum verhalten würden, mag das Partyspielcharakter haben. Es wird mir allerdings keine Auskunft darüber geben, welche Kenntnisse dieser Mensch hat und was er lernen möchte.“

Sein Tipp für alle Bewerber, die mit solchen Fangfragen konfrontiert werden: Einfach zurückfragen – „Was bezwecken Sie mit dieser Frage? Was möchten Sie wirklich wissen? Geht es darum, wie ich Probleme in Bereichen löse, mit denen ich mich nicht auskennen? Möchten Sie sehen, ob ich bereit bin, ein neues Spiel mitzumachen? Das bin ich, aber ich möchte wissen, was Sie sich hiermit erhoffen zu erfahren.“

Experimente sein lassen

Genauso wenig effektiv sind laut Kyle M.K. („The Economics of Emotion: How to Built a Business Everyone Will Love“) kleine soziale Experimente, wie z. B. Bewerber fragen, ob sie Eiswürfel in ihr Wasser haben möchten und dann je nach Antwort, genau das Gegenteil zu bringen, um die Reaktion zu testen: „Welche Art von sozialer Situation stellt man her, wenn man absichtlich jemandem nicht das bringt, worum er gebeten hat. Möchte man wirklich jemanden, den man gar nicht kennt, so provozieren, dass er dich direkt konfrontiert? Warum sollte das eine gute Idee sein?“

Und: Auch in Gruppeninterviews bzw. Assessment-Centern hält er die weit verbreitete Nutzung von Experimenten nicht für zielführend und zitiert Apple, wo er als Projektmanager tätig war und solche Tests oft beobachtete. „Den Bewerbern wurden in Gruppen Objekte wie ein Verlängerungskabel gegeben. Deren Funktionen und Vorteile sollten beschrieben, aber auch Ideen für alternative Nutzarten gemacht werden. Dann wurde beobachtet, wie die einzelnen Bewerber sich verhielten. Das Seltsame daran ist für mich: Wir stellen Leute ein, damit sie individuell einen Beitrag leisten, beurteilten sie aber auf Basis einer Gruppenaktivität.“

Beide Autoren kommen zu dem Schluss, dass Techniken wie Fangfragen und soziale Experimente, die eine Art unechte bzw. unangenehme Situation schaffen, im Endeffekt nur allen, auch den Unternehmen, schaden. Markman weist darauf hin, dass das Stellen von Fragen, mit denen man die Kandidaten „erwischen“ will, auch viel über das jeweilige Unternehmen aussagt. Und welcher Bewerber möchte schon unbedingt für eine Organisation arbeiten, die darauf aus ist, die Defizite der Kandidaten bloßzustellen, anstatt auszudrücken, dass man gemeinsam mit den Mitarbeitern wachsen und lernen möchten. Im Endeffekt geht es doch darum: Bei einem Bewerbungsgespräch sollte man sich nicht (noch mehr) verstellen müssen, weil man in Situationen geworfen wird oder einem Fragen gestellt werden allein mit dem Ziel, bestimmte Verhaltensweisen zu checken. Authentizität ist gefragt. Und dabei hilft eine natürliche Atmosphäre, in der Bewerber sich – soweit möglich angesichts der spezifischen Situation – wohl fühlen können. Damit haben Unternehmen auch die größte Chance, einen Menschen wirklich kennenzulernen.

TECH FOR WORK

Mit digitalem Butler besser organisiert

Freund der Projektmanagement-Software Trello? Mit Boards, Listen und Karten im Arbeitsalltag unterwegs? Dann gibt es jetzt eine neue Trello-Automatisierungsfunktion, die verspricht, den ultimativen Überblick zu verschaffen: Der sogenannte „Butler“, der bisher als „Power Up“ extra dazugekauft werden musste, wurde nun integriert und soll durch Prozessautomatisierung intelligenteres und schnelleres Arbeiten ermöglichen.

Die Kernidee: Automatisierung von Prozessen ist eine komplizierte Sache, die das Schreiben von Code erfordert. Butler übernimmt die Automatisierung mithilfe von Regeln, Befehlen und benutzerdefinierten Schaltflächen, die jeder ohne Kenntnis von Code anlegen und nutzen kann. Das Einrichten von Butler-Regeln erfolgt in natürlicher Sprache. Nutzer geben dem Butler einen bestimmten Impuls (Trigger) an, auf den er achten soll, wie beispielsweise eine neue Karte, die in einer bestimmten Liste angelegt wird, sowie die jeweilige Aktion, die im Falle dieses Triggers durchgeführt werden soll.

Neben dem Erstellen von Regeln ermöglicht der digitale Assistent auch die Planung periodischer Befehle, eine automatische Nutzungsanalyse, das Sortieren von Listen nach Fälligkeitsdatum, Uhrzeit und anderen Aspekten sowie liefert Empfehlungen zur Zeitersparnis. Nur die Arbeit, die muss man dann immer noch selbst erledigen ...

Butler Testbericht

NUR SO

Von Empathie und Exodus: neue Studie zur Zukunft der Arbeit

Ein neuer Ansatz für das Dauerbrennerthema „Future of Work“: Die britische “Royal Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce” (RSA) arbeitet in ihrer Studie „The Four Futures of Work. Coping with uncertainty in an age of radical technologies” nicht mit den üblichen Vorhersagen und numerischen Prognosen, die uns sagen (warnen), wie viele Jobs in Zukunft von Robotern übernommen werden. Stattdessen wurden verschiedene Szenarien entwickelt, die der Komplexität und Unberechenbarkeit der Kräfte, die global am Werk sind, gerechter werden sollen und auf deren Basis verschiedene Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Erziehungswesen erarbeitet wurden.

Eine Zusammenfassung der Studie und Vorstellung der vier entwickelten Szenarien „Big Tech Eonomy“, „Precision Economy“; „Exodus Economy“ und „Empathy Economy“ gibt es hier auf 74 Seiten. Wer an einem verregneten Wochenende nichts Besseres zu tun, findet hier auf jeden Fall einige interessante Gedankenanstöße.


Autor:
MedienMBA-Alumna Barbara Geier, www.bconnects.net


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