Digital Journalism Summit in London: Digitaler Qualitätsjournalismus: Unbedingt notwendig, schwer finanzierbar
Was hat Google mit Qualitätsjournalismus zu tun? Mehr als man denkt, denn
seit einigen Jahren investiert der Internetriese im Rahmen von speziellen
Journalismusprogrammen Millionensummen in digitalen Journalismus. Zu den
Nutznießern gehört auch das britische „Bureau Local“, ein Projekt des „Bureau
of Investigative Journalism“, das beim Londoner „Digital Journalism Summit“
in einem Panel zum Thema Qualitätsjournalismus im digitalen Zeitalter vertreten
war.
Bureau Local ging im März 2017 als ein kollaboratives, investigatives Netzwerk
von Journalisten, Bloggern und Bürgern an den Start, das im lokalen Bereich
Geschichten aufgreift, die Zeitungen im von Kosteneinsparungen geprägten
lokalen- und regionalen Medienmarkt allein nicht mehr stemmen können:
„Journalisten in Lokalzeitungen arbeiten unter immensem Druck und müssen oft
fünf bis zehn Stories am Tag raushauen. Zeit für in die Tiefe gehende Arbeit
bleibt da keine. Wir übernehmen diese investigativen Projekte mit unserem
Netzwerk”, so Maeve McClenaghan, die als Investigative Journalist bei der
Initiative tätig ist. Zeitungen können die Ergebnisse der Arbeit des Bureau
Local kostenfrei nutzen. Ein aktuelles Beispiel ist die #makethemcount
Kampagne, die Todesfälle von Obdachlosen in Großbritannien recherchierte, die
bisher nirgends offiziell festgehalten wurden.
Tech-Unternehmen
investiert in journalistische Recherchearbeit
McClenaghan arbeitete acht Monate an dieser Story, die seit der
Veröffentlichung bereits für politische Maßnahmen gesorgt hat. Das Bureau unterstützt
nun u. a. die britische Regierung bei der Erstellung einer Datenbank, die
Todesfälle zählt und festhält. „Abgesehen von der landesweiten Reportage zu dem
Thema, produzierten wir 42 lokale Artikel, die entsprechend von Medien in den
jeweiligen Städten und Regionen genutzt wurden“, so McClenaghan. Diese Arbeit
kostet natürlich Geld und hier kommt Google ins Spiel, durch deren initiale
Unterstützung das Projekt überhaupt erst möglich wurde. Seit dem Start letztes
Jahr finanzierte das Unternehmen das Bureau über seinen vor drei Jahren
aufgelegten Fonds „Digital News Initiative“, der insgesamt 559 journalistische
Projekte mit 115 Millionen Euro förderte. Ziel ist, so die offizielle
Google-Erklärung, „Qualitätsjournalismus auf allen unseren Plattformen
erkennbar zu machen, damit diese Inhalte für Nutzer leicht auffindbar sind und
Nachrichtenpartner von der Erstellung der Inhalte profitieren“. Es entbehrt
nicht einer gewissen Ironie, wenn gerade Google als Technologie-Konzern, der
maßgeblich zum Einbruch des Anzeigen-Geschäfts beigetragen hat, auf dem das
klassische Geschäftsmodell des Qualitätsjournalismus basierte, nun als eine Art
Retter dieses Journalismus auftritt. Die Eigeninteressen sind offensichtlich:
Google braucht gute Inhalte, denn welcher Werbetreibende will schon in einem Meer
von Fake News Anzeigen schalten.
Lokale UK
Initiative findet Nachahmer in Deutschland
Das „Digital News Initiative“ Projekt findet seit März 2018 seine
Fortführung im „Google News Initiative“
Fonds, der für die nächsten drei Jahre mit rund 270 Millionen Euro ausgestattet
wird. Auch hier ist das Bureau Local wieder unter den geförderten Projekten: „Die
Finanzierung ist eine sehr mühsame Sache, keine Frage, und wir wollen uns hier
breiter aufstellen. Gemeinsam
mit der Google News Initiative haben wir gerade zwei weitere Förderer für die
nächsten Jahre gewonnen: Das European Journalism Centre sowie die
unabhängige Stiftung Lankelly Chase“, erläuterte McClenaghan. Die preisgekrönte
Arbeit des Bureaus hat bereits Nachahmer gefunden und inspirierte das im Sommer
in Deutschland gestartete „Correctiv.Lokal“.
Langfristige
Finanzierungsmodelle
Wie sich die langfristige Finanzierung von gutem Journalismus gestalten
wird, schwebte –wenig erstaunlich – über der gesamten Londoner Diskussion, an
der neben dem Bureau auch Redakteure der HuffPost UK und des politischen
Magazins New Statesman teilnahmen. Dessen Digital Editor, Jasper Jackson, hatte
hier ganz eigene Ideen: „Wird es Qualitätsjournalismus auf lange Sicht noch
geben? Ja, ich denke schon. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass er nicht
mehr von Medienunternehmen, wie wir sie heute kennen, betrieben wird, sondern
eher von Individuen oder Netzwerken von Individuen“, meinte Jasper Jackson.
Tendenzen, die solche Charakteristiken aufweisen, gibt es bereits: Die „Bill
and Melinda Gates Foundation“ sponsort eine französische Zeitschrift,
Amazon-Boss Jeff Bezos kaufte für 250 Millionen Dollar die „Washington Post“
und der britische Guardian vermeldete aktuell, dass 12% der Erlöse (und damit
mehr als Anzeigen) auf verschiedene Arten von „Leserbeiträgen“ zurückgehen,
inklusive das Mitgliedschaftssystem
des Verlags oder Spenden
von Individuen.
Alle Panelteilnehmer waren sich einig, dass digitaler Qualitätsjournalismus
aus Leserperspektive eine Zukunft hat: „Der Appetit für gut recherchierte,
investigative Inhalte ist im Zeitalter von Fake News mehr denn je gegeben“, so
Emma Youle, Special Correspondent bei HuffPost UK. Sie betonte dabei auch die
vielen Möglichkeiten, Geschichten digital anzureichern und damit ganz anders
erzählen zu können als in Print: „Im Rahmen eines Projekts zum Thema psychische
Gesundheit, in der wir elf Selbstmorde von Studenten an der Uni Bristol recherchierten,
spielten z. B. WhatsApp Group Chats eine wichtige Rolle. Online hatten wir die
Möglichkeit, dies zu integrieren und eine Art Mini-Video zu kreieren, das dem
Artikel noch mal eine weitere Dimension gab.“
Wie Innovationen im
physischen Raum digitalen Journalismus fördern
Interessant: Abgesehen von den vielen Tech-Tools, die Journalisten insbesondere
auch bei der visuellen Aufarbeitung von Daten inzwischen zur Verfügung stehen,
kristallisierte sich im Laufe der Diskussion heraus, dass echte Innovationen
zurzeit – ganz oldschool – im physischen Raum zu finden sind. So unterhielt HuffPost
UK im Sommer eine einwöchige „Pop-up-Redaktion“ in einem Einkaufszentrum in
Birmingham, verfrachtete das sonst in London ansässige Team in eine neue
Umgebung und öffnete sich so neuen Lesern und Recherchemöglichkeiten. Das
Bureau Local kollaborierte im Rahmen einer Recherche zu häuslicher Gewalt/Kürzung
öffentlicher Mittel für Schutzeinrichtungen mit der Autorin eines Theaterstücks
zum Thema und tourte damit durch das Land. Die Ex-BBC-Redakteurin McClenaghan
sieht solche Aktionen als zunehmend von Bedeutung, um Themen ans Publikum zu
bringen: „Wir überlegen immer von Anfang an, für welches Publikum diese oder
jene Geschichte von Interesse ist und wer sie hören sollte. Wir möchten auch
Menschen erreichen, die möglicherweise online nie auf uns stoßen würden. Daher
arbeiten wir zunehmend im physischen Raum und tragen unsere Inhalte auf
kreative Art und Weise in unterschiedliche Orte. Vielleicht ist das ja sogar
momentan die Avantgarde, die Wege aufzeigt, in welche Richtung Journalismus
gehen kann.“
Text:
Barbara Geier, www.bconnects.net
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